In der Nähe des heutigen Bahnhofs Sitterdorf befindet sich das Kleinkraftwerk der Gehrig AG. Seit über 600 Jahren wird an dieser Stelle der Sitter Energie für den gewerblichen Alltag genutzt. Ernst Höfliger ist seit 32 Jahren der Inhaber dieser Firma.
1386
Schon im 14. Jahrhundert stand an der Stelle des heutigen Wasserkraftwerks eine Getreidemühle. Die Mühle gehörte damals zur Burg Singenberg und wurde 1386 zum ersten Mal in einer Urkunde erwähnt. Als die Mühle 1909 abbrannte, gehörte sie zur Mühle Hermann Klingler in Gossau.
Wo heute Thurgauer Naturstrom produziert wird, stand bis 1909 eine Mühle.
1920
Über der Brandruine wurde 1920 eine Schuhfabrik gebaut. Ab welchem Zeitpunkt die Wasserkraft für die Stromherstellung genutzt wurde, ist nicht bekannt, ebenso wenig, ob es sich um eine Inselstromproduktion handelte oder ob bereits eine Stromeinspeisung in ein örtliches Netz erfolgte. Jahrzehntelang diente der Gebäudekomplex auch als Obstkühlhaus der OBI.
1984
Ernst Höfliger hat die Liegenschaft im Jahr 1984 zusammen mit dem Wasserkraftwerk erworben. Heute blickt der aufgeweckte Senior mit 76 Lenzen dankbar zurück und sagt, dass er in seinem Leben viel bewegen und erreichen konnte. In Rapperswil-Jona als ältestes von zwölf Kindern geboren und in einer Arbeiterfamilie aufgewachsen, hat er bereits in der Lehre zusätzliche Kurse in Maschinenbau am Abendtechnikum Zürich besucht. Als 15-Jähriger setzte er sich zum Ziel, aus der relativen Armut herauszukommen und einmal einen eigenen Betrieb zu führen. Nach Jahren erfolgreicher Tätigkeit im In- und Ausland sowie zahlreichen Weiterbildungen erhielt Ernst Höfliger das Vertrauen von Geldgebern, um den metallverarbeitenden Betrieb mit Liegenschaft und Wasserwerk an der Sitter in Sitterdorf zu übernehmen. Den leistungsfähigen Fachmann und Unternehmer schmerzt es, wenn er bei vielen Zeitgenossen wahrnimmt, dass nur noch der Profit zählt. Die Kritik an egoistischer Gier und Masslosigkeit taucht im Gespräch immer wieder auf.
1986–1995
Kaum hatte sich der junge Unternehmer in Sitterdorf bei Bischofszell niedergelassen, brannte eines Morgens der Stromgenerator. Damit war vorerst Schluss mit der Stromproduktion. Es stellte sich heraus, dass die Anlage bei der Übernahme in einem schlechten Zustand gewesen war. Der Ingenieur HTL musste sich nun zuerst um den Erfolg seiner Unternehmung kümmern. Als Techniker aber begann er, sich mit seinem stillgelegten Wasserkraftwerk zu beschäftigen und der Entschluss zur umfassenden Sanierung reifte.
1996–2016
Das kleine Wasserkraftwerk arbeitet seit mittlerweile 20 Jahren zuverlässig. Rund 360 000 kWh Thurgauer Naturstrom gehen jährlich ans Netz. Ist das viel oder wenig Strom? Ernst Höfliger klärt auf. «Mit dieser Strommenge könnte ein doppelstöckiger Reisezug die Strecke Romanshorn–Genf 23 Mal fahren.» Auch einen anderen Vergleich zieht Ernst Höfliger heran: «In den 360 000 kWh Strom steckt so viel Energie wie in einem 103 Meter langen Güterzug mit Braunkohle.» In Sitterdorf wird kein «billiger Dreckstrom» mit CO2-Belastung hergestellt, wie es Ernst Höfliger bewusst pointiert formuliert. Es ist eine vergleichsweise kleine Menge regional erzeugter Thurgauer Naturstrom, die rund um die Uhr jahrein und jahraus nachhaltig und CO2-neutral produziert und in unser öffentliches Netz eingespeist wird.
Das Wasserkraftwerk an der Sitter vor Bischofszell hat ein Stauwehr, welches das Wasser der Sitter staut und über einen Kanal in die Turbine leitet. Diese treibt über einen Transformationsriemen den Stromgenerator an.
Zukunft
Die Zukunft des kleinen Wasserkraftwerks an der Sitter bei Bischofszell ist dennoch unsicher, wie Ernst Höfliger, der Techniker, der an der Anlage immer wieder selbst Hand angelegt hat, betont. «Neue Vorschriften können die bescheidene Wirtschaftlichkeit infrage stellen.» Ernst Höfliger vertritt die Ansicht, dass wir auch den kleinen Anlagen in unserem Land Aufmerksamkeit entgegenbringen sollen. Er weist auf die grosse, 65-prozentige Abhängigkeit der Schweiz von fossiler Energie hin (Benzin 13%, Diesel 13%, Heizöl 18%, Flugtreibstoffe 8%, Erdgas 14%). «Die eigene CO2-freie Energieproduktion schafft viele interessante Arbeitsplätze. Die Energie wird zwar teurer, aber die ökonomische und ökologische Wertschöpfung bleibt im Land.» Ernst Höfliger vertritt einen bedenkenswerten Standpunkt, nicht wahr?